Aktuell

Kried in Nahost: «Tod den Juden»: Jetzt häufen sich in der Schweiz antisemitische Vorfälle

Kried in Nahost: «Tod den Juden»: Jetzt häufen sich in der Schweiz antisemitische Vorfälle

Die Terrorangriffe der Hamas und der Konflikt mit Israel haben auch in der Schweiz Konsequenzen. Der Judenhass nimmt zu. Beim Dachverband der jüdischen Gemeinden ist man besorgt, was bei einer weiteren Eskalation passieren könnte.

Es sind besorgniserregende Nachrichten aus der deutschen Hauptstadt: In der Nacht auf Mittwoch sind auf ein Gebäude einer jüdischen Gemeinde in Berlin-Mitte zwei Brandsätze geworfen worden. Nur weil die unbekannte Täterschaft mit ihren Molotowcocktails das Ziel verfehlt hatte, nahm das Gebäude gemäss der Zeitung «Tagesspiegel» keinen Schaden. Darin untergebracht sind eine Synagoge sowie eine jüdische Grundschule und eine Kita.

Wenige Stunden davor mussten Polizeikräfte in Schutzausrüstung das Holocaust-Mahnmal im Berliner Stadtzentrum bewachen. Die Sicherheitsmassnahme war notwendig, weil sich mehrere hundert Personen vor dem nahe gelegenen Brandenburger Tor zu einer propalästinensischen Demonstration versammelt hatten.

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober und Israels darauffolgender Beschuss des Gazastreifens haben auch Auswirkungen auf Europa. Im französischen Arras und in Brüssel wurden seither drei Menschen bei mutmasslich islamistisch motivierten Terroranschlägen getötet. In zahlreichen Städten kam es zu grossen propalästinensischen Demonstrationen, bei denen Antisemitismus offen zutage getreten ist. Die jüdische Gemeinschaft Grossbritanniens registrierte eine deutliche Zunahme antisemitischer Vorfälle.

 

Häufung gravierender Vorfälle

Ähnliches beobachtet auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG), der Dachverband der jüdischen Gemeinden. «In den letzten zehn Tagen haben wir ein halbes Dutzend gravierender antisemitischer Vorfälle registriert», sagt SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner. Im Vergleich zum Vorjahr sei diese Häufung innerhalb kurzer Zeit ungewöhnlich.

Darunter sind Schmierereien («Tod den Juden») sowie Mails und Briefe mit übelsten antisemitischen Beschimpfungen an jüdische Gemeinden und an den SIG. Ein Mann mit Davidstern wurde auf offener Strasse angespuckt, eine jüdische Nationalratskandidatin der FDP beim Flyer-Verteilen in der Zürcher Innenstadt antisemitisch beschimpft.

Dass kriegerische Auseinandersetzungen im Nahen Osten sehr rasch in Form von antisemitischen Vorfällen nach Europa und in die Schweiz überschwappten, stelle man seit fünfzig Jahren fest, sagt Kreutner. Zuletzt in grösserem Ausmass beim Krieg zwischen der Hamas und Israel im Sommer 2014: «Solche Ereignisse triggern vorhandene antisemitische Ressentiments und lassen die Hemmschwelle sinken.»

Anders sei dieses Mal der zeitlich verzögerte Anstieg der antisemitischen Vorfälle. Das habe vermutlich damit zu tun, so Kreutner, dass die schreckliche Gewalt der Hamas an der israelischen Zivilbevölkerung als eindeutiger Auslöser der neusten kriegerischen Auseinandersetzung nicht Israel angelastet werden könne.

 

Bilder aus dem Ausland beeinflussen Sicherheitsempfinden

Beim SIG ist man dennoch wachsam, was die weitere Entwicklung angeht. «Angesichts der bereits heute feststellbaren Zunahme der antisemitischen Vorfälle betrachten wir mit Sorge, was in der Schweiz passieren könnte, wenn der Konflikt weiter eskalieren sollte», sagt Kreutner. Auch darum sei man «erpicht darauf», dass Kundgebungen und Veranstaltungen, bei denen der Hass auf Israel und auf die Juden angestachelt würde, zum jetzigen Zeitpunkt nicht stattfinden. «Denn aus hasserfüllten Worten können rasch Taten werden», warnt Kreutner.

Gleichzeitig betont er, dass die Lage in der Schweiz eine andere sei als in anderen europäischen Ländern: «Es wäre falsch, Panik zu schüren», sagt Jonathan Kreutner. «Wir haben glücklicherweise bisher keine gewalttätigen Angriffe auf jüdische Einrichtungen erlebt und auch keine konkreten Hinweise darauf erhalten.»

Doch die Schweiz sei keine Insel, und Terrorismus kenne keine Landesgrenzen. «Natürlich fliessen die Bilder aus Deutschland, Frankreich und anderswo ins subjektive Sicherheitsempfinden der Jüdinnen und Juden in der Schweiz mit ein», sagt Kreutner. Diese Ängste müsse man ernst nehmen.

Jehuda Spielman sitzt für die FDP im Gemeinderat der Stadt Zürich und ist orthodoxer Jude. Ihm liegt es fern, Alarm zu schlagen. Es gebe eine gewisse Unsicherheit in der jüdischen Gemeinschaft, sagt er. Aber die Situation sei anders als in Frankreich oder Deutschland, die Gefahrenlage ruhiger. «Ich gehe immer noch problemlos mit der Kippa auf die Strasse», sagt er. «Online und in den sozialen Medien ist die Stimmung erhitzter, aber das ist kein spezifisch schweizerisches Problem.»

Zentral ist aus Spielmans Sicht, von wem der Antisemitismus ausgeht. «Antisemitische Pöbeleien und Angriffe sind immer schlimm», sagt er. «Aber bisher kommen sie in der Schweiz meist von Betrunkenen, Randständigen oder Jugendlichen, die provozieren wollen, - und nicht aus der Mitte der Gesellschaft. Solange das so ist, ist es nicht dramatisch.» Dem Antisemitismus müsse man vor allem mit Bildung entgegentreten, fordert er.

Doch es gibt auch Lichtblicke. Vor einer Synagoge in Zürich wurde letzte Woche ein handgeschriebener Zettel mit einer Botschaft an die Mitglieder jüdische Gemeinde hingelegt, der tiefe Trauer und Mitgefühl ausdrückt: «Ich hoffe, Sie wissen, dass es viele Menschen in dieser Stadt gibt, die an diese Tage an Sie denken», heisst es darin.

Dennoch bleibt die Stimmung angespannt. Das zeigt sich auch daran, dass sich manche Politiker medial nicht mehr äussern wollen. Und: Zürich, Basel und Bern wollen für dieses Wochenende keine Demonstrationen und Kundgebungen im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt bewilligen.

Das Sicherheitsdispositiv für jüdische Einrichtungen in der Schweiz ist seit Jahren erhöht und wurde nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober nochmals angepasst. Der stetige Austausch mit den Behörden bezüglich der notwendigen Sicherheitsmassnahmen funktioniert laut SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner auf Bundesebene hervorragend, mit wenigen Ausnahmen ebenso mit den betroffenen Kantonen und Gemeinden.

Darüber hinaus ist Kreutner froh, dass der Bundesrat angekündigt hat, die Hamas als terroristische Organisation einzustufen, wie es der SIG schon lange fordert. «Das ist extrem wichtig und die einzig richtige Entscheidung», so Kreutner.

Der SIG erwarte nun, dass diese Ankündigung rasch umgesetzt werde: «Ein Verbot der Hamas ist nicht nur ein politisches Signal, sondern von praktischem Nutzen für die Schweiz.» Es sei derzeit völlig offen, in welche Richtung sich der Konflikt in Nahost entwickelt. Es sei im Interesse der Sicherheit der Schweiz, dass die Hamas unser Land nicht als sicheren Hafen betrachtet und hier aktiv wird.

 

Zürcher Politikerin im Wahlkampf antisemitisch beschimpft

Die Zürcher FDP-Kantonsrätin und Nationalratskandidatin Sonja Rueff-Frenkel schrieb auf X (ehemals Twitter), sie sei am Montag in der Zürcher Innenstadt beim Flyerverteilen für den Wahlkampf «übelst und lauthals antisemitisch beschimpft worden». Am schlimmsten sei gewesen, dass «alle zugeschaut und geschwiegen haben». Rueff-Frenkel wollte sich gegenüber CH Media nicht zum Vorfall äussern.

SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner sagt mit Blick auf solche Vorfälle: «Man muss die betroffene Person unterstützen, Zivilcourage und Gegenrede sind wichtig.» Noch wichtiger sei aber die persönliche Sicherheit: «Wenn eine Situation ausser Kontrolle gerät, muss man umgehend die Polizei verständigen.» (cbe)

Jetzt teilen:

Weitere Beiträge