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Die Gewerkschaft als Immobilienhai?

Die Gewerkschaft als Immobilienhai?

Die Unia spricht wegen Neubauplänen mit weniger Wohnungen als vorher Leerkündigungen aus. Das Vorhaben der Gewerkschaft stösst auf Kritik – auch aus den eigenen Reihen.

Wenn es um Wohnungsbau geht, ist die Devise in der Stadt Zürich – von linker politischer Seite her – klar: Sanieren geht über neu Bauen. Nur so könne günstiger Wohnraum erhalten bleiben, lautet die gängige Losung.

Damit die Mieten auch nach einer Sanierung möglichst tief bleiben, hat die SP unlängst die sogenannte «Wohnschutzinitiative» lanciert. Die Initiative verlangt, dass Gemeinden nach Sanierungen die Höhe der Mieten kontrollieren können.

Damit sollen «Mietpreis-Exzessen» vorgebeugt werden. Zudem hofft die SP, die Zahl der Leerkündigungen reduzieren zu können, welche nach Auffassung der Initianten dazu führen, dass alteingesessene Quartierbewohner aus ihrer gewohnten Umgebung verdrängt werden.

Ersatzneubauten sind derart verpönt, dass auf Projektankündigungen meist eine Petition dagegen folgt. Etwa so wie im Fall der Siedlung Heuried. Für den Erhalt der Überbauung mit 108 Wohnungen setzt sich eine Interessengemeinschaft ein und hat kürzlich dem Stadtrat über 6200 Unterschriften überreicht.

Im Vergleich dazu ist die Situation bei einem Neubauprojekt in Zürich-Wiedikon bescheiden: acht Wohnungen befinden sich im Gebäude an der Brinerstrasse 6, einer ruhigen Seitenstrasse nahe der Schmiede Wiedikon.

 

Bauprojekt der Unia in Zürich-Wiedikon

Brisant ist das Vorhaben trotzdem – denn die Eigentümerin der Liegenschaft ist die Gewerkschaft Unia. 2020 besass die Gewerkschaft schweizweit Liegenschaften im Wert von knapp 400 Millionen Franken. Da die Immobilien aber mit dem Anschaffungswert bewertet sind, dürfte ihr realer Wert eine halbe Milliarde übersteigen.

Das Gebäude an der Brinerstrasse wurde 1907 erstellt. Seit der letzten umfassenden Sanierung 1975 seien lediglich die nötigsten Unterhaltsarbeiten gemacht worden, schreibt die Unia-Mediensprecherin Katja Signer Hofer auf Anfrage. Von aussen sieht man das dem Mehrfamilienhaus nicht an, die rosa Fassade wirkt fast wie frisch gestrichen.

Wenn es nach der Eigentümerschaft geht, sind die Tage der Liegenschaft gezählt. Alle Mieterinnen und Mieter haben die Kündigung erhalten und müssen im Juni 2025 ausziehen.

Die Gewerkschaft greift hier also zu dem Mittel, das die Linke in Zürich sonst aufs Schärfste kritisiert: zu Leerkündigungen.

Die Unia betont, dass sie die bisherige Mieterschaft bei Neuvermietungen stets individuell betreue und allfällige Anmeldungen, wo möglich, bevorzugt berücksichtige. Zudem biete man Unterstützung bei der Suche nach Ersatzwohnungen.

 

Neubau «im Sinne der verdichteten Bauweise»

Geplant ist ein Ersatzneubau mit einer zusätzlichen Etage. «Damit schaffen wir 30 Prozent zusätzlichen Wohnraum», schreibt Signer Hofer. Dies sei im Sinne einer verdichteten Bauweise.

Die bestehenden Wohnungen seien sehr klein und verfügten über wenig Aussenraum, so Signer Hofer. «Die neuen, grösseren Wohnungen werden auch für Familien und Wohngemeinschaften geeignet sein.»

Statt der heute acht Wohnungen sind allerdings nur noch sechs vorgesehen. Im Erdgeschoss ist eine knapp 44 Quadratmeter grosse 2,5-Zimmer-Wohnung geplant. Die übrigen Einheiten sollen jeweils 4,5 Zimmer haben und über eine Fläche von grosszügigen 98 bis 121 Quadratmeter verfügen.

Doch wie passen mehr Wohnfläche und gleichzeitig weniger Wohnungen zum allseits geforderten Konzept der Verdichtung?

Die Unia schreibt dazu folgendes: «In den neu geschaffenen Familienwohnungen werden absehbar mehr Personen leben als in den bisherigen kleineren Wohnungen, womit auch der Pro-Kopf-Verbrauch an Wohnfläche sinken wird.»

Wie dies konkret sichergestellt werden soll, bleibt unklar. Flächendeckende Mindestbelegungsvorschriften wende die Unia fallweise für einzelne Mietobjekte an, deren Mieten besonders weit unter der Marktmiete lägen, heisst es vonseiten der Gewerkschaft. Ob und wie grosse Familien gegenwärtig in der Liegenschaft wohnen, will die Unia nicht kommentieren und verweist auf den Datenschutz.

Das Bauvorhaben der Unia erstaunt auch deshalb, weil es fast auf den Punkt genau dem entspricht, was Vertreterinnen und Vertreter der linken Parteien im Parlament jeweils vehement bekämpfen.

Erst kürzlich lehnte das Parlament einen Vorstoss der FDP ab, der Aufstockungen von bestehenden Gebäuden um eine Etage erleichtern wollte. Das Argument: Eine generelle Aufzonung würde den Druck erhöhen, Liegenschaften abzureissen und neu zu bauen.

In der gleichen Sitzung wurde zudem ein Neubauprojekt bachab geschickt, gerade weil es sich um einen Ersatzbau handelte. Das Gebäude gehöre saniert, nicht abgerissen, so der Tenor.

Die Unia-Sprecherin begründet den Entscheid für den Neubau im Kreis 3 folgendermassen: Man habe die Sanierungsoption sorgfältig abgeklärt, doch alle Parameter sprächen für einen Ersatzneubau. «Dieser wird nicht nur die bisher mangelhafte Schalldämmung im Gebäude verbessern, sondern insbesondere auch die Energiebilanz.» Das werde sich wiederum positiv auf die künftigen Nebenkosten auswirken.

Zu der Höhe der Mieten will die Gewerkschaft sich nicht näher äussern. Sie hält aber fest, dass die Wohnungen in Unia-Liegenschaften «deutlich unter der Marktmiete» angeboten würden. Im Schnitt seien sie 25 Prozent tiefer. Bei Neuvermietungen diene die Mietpreiserhebung der Stadt Zürich als Basis.

 

«Neubauten sind nicht per se schlecht»

Auch dem FDP-Parlamentarier Jehuda Spielman ist das Bauvorhaben der Unia aufgefallen. «Konsequenterweise müssten die Linken auch gegen dieses Projekt protestieren», findet er. Die Pläne der Unia zeigten beispielhaft, was von den linken Protesten gegen sogenannte «Immobilienhaie» und deren angebliche «Renditegier» zu halten sei. Selbst «der heilige Gral der Linken» setze offenbar auf Neubauten und wahrscheinlich auch auf Mietzinssteigerungen.

Wenn sogar die Gewerkschaft einen Neubau einer Sanierung vorziehe, beweise das doch, dass es durchaus sachliche Gründe gebe, die für Ersatzbauten sprächen. «Man kann folglich nicht behaupten, dass abreissen und neu bauen per se schlecht ist.»

Leider scheine ein Teil der Linken den Bezug zur Realität verloren zu haben und verteufle Abrisse grundsätzlich, sagt Spielman. «Dabei reisst doch niemand, der bei Verstand ist, ohne Not ein Gebäude ab.»

Selbst in den eigenen Reihen stossen die Neubaupläne der Unia auf Skepsis. Tiba Ponnuthurai ist SP-Parlamentarierin und Unia-Mitglied. Sie sagt, das Vorhaben sehe auf den ersten Blick nicht nach einem sozialen Projekt aus, sondern einem, mit dem Gewinn erzielt werden solle.

«Man muss aber auch sagen, dass dieses Geld dann für gewerkschaftliche Zwecke eingesetzt wird und nicht in den eigenen Sack fliesst.» Das finde sie grundsätzlich gut, sagt Ponnuthurai.

Dennoch sei es immer schade, wenn Menschen ihre Wohnungen verlören. Vor allem, wenn dann weniger Wohnungen entstünden. «Der Mieterschutz greift bei Ersatzneubauten zu kurz: Mietende sind vom Goodwill der Eigentümerin abhängig. Ich hoffe, dass die Unia den ihrigen wiederfindet.»

Wie man die Geschichte um den Unia-Neubau auch dreht und wendet, das Vorhaben hat einen schalen Beigeschmack. Angesichts der jeweils sehr absoluten Forderungen der Linken an den Wohnungsbau ist denn auch die Erwartungshaltung entsprechend höher. In diesem Fall kann man nicht umhin, frei nach einem Zweizeiler des Lyrikers F. W. Bernstein, zu denken: «Die grössten Kritiker der Elche, sind meist selber welche.»

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