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Die Stadt Zürich will diverse neue Werbebildschirme aufstellen, trotz geplantem Verbot – so erklären die Behörden diese Absurdität

Die Stadt Zürich will diverse neue Werbebildschirme aufstellen, trotz geplantem Verbot – so erklären die Behörden diese Absurdität

Eine Flut an Baubewilligungen weckt Misstrauen aus der Politik. Die Behörden reagieren mit einer überraschenden Erklärung.

Sie werben für Elektrogrills und Versicherungen, teure Uhren und billige Kleidung, Hautärzte und Frühpensionierung. Digitale Werbebildschirme auf Trottoirs oder an Tramhaltestellen gehören in der Stadt Zürich zum Alltag. Doch nicht mehr lange.

Unlängst hat das Zürcher Stadtparlament nämlich entschieden, dass die Stadt digitale Werbeflächen und Leuchtdrehsäulen «zum frühestmöglichen Zeitpunkt» ausser Betrieb nehmen und entsorgen solle. Ein entsprechendes Postulat (nicht das erste zum Thema) wurde an den Stadtrat überwiesen, der es nun prüfen muss.

Zwar sind davon nur Werbeträger auf öffentlichem Grund betroffen. Doch machen diese einen ansehnlichen Anteil des städtischen Werbevolumens aus. Die Verkehrsbetriebe VBZ allein sind nach eigenen Angaben der zweitgrösste Anbieter von Aussenwerbung in der Schweiz.

Mit einem digitalen Werbeverbot wollte die linke Mehrheit im Gemeinderat einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die Werbebildschirme seien eine «sinnlose Energieverschwendung», hiess es im Rat. Ihre Abschaffung trage zur Reduktion von Treibhausgasemissionen bei.

Anders sah das die ebenfalls links dominierte Stadtregierung. Es drohe ein Verlust von Werbeeinnahmen – derzeit belaufen sich diese auf rund 25 Millionen Franken pro Jahr. Und diese kämen zu grossen Teilen den VBZ und damit dem ökologisch sinnvollen öffentlichen Verkehr zugute.

 

Stadt beantragt neue Werbetafeln

Nun, nach der Niederlage im Parlament, muss sich die Stadt damit befassen, ob und wie sie ihre Werbebildschirme abbauen und die Lücke in ihren Finanzen schliessen kann. Die Zeiten digitaler Werbung auf städtischem Grund sollten nach dem Willen des Parlaments damit eigentlich bis in einigen Jahren vorüber sein.

Eigentlich. Denn: In den vergangenen zwei Wochen hat die Stadt nicht weniger als vierzehn Baubewilligungen für neue Werbebildschirme beantragt, wie dem Amtsblatt zu entnehmen ist. Gut die Hälfte davon soll bestehende Werbestellen ersetzen, die andere Hälfte neu errichtet werden.

Bemerkt hat die auffällige Häufung der Gemeinderat Jehuda Spielman (FDP). Er habe es sich vor längerem zur Gewohnheit gemacht, jede Woche die neuen Baubewilligungen zu studieren, und sei deshalb sofort stutzig geworden. «Eigentlich müsste der Stadtrat nach dem Parlamentsentscheid sagen: ‹Stopp, wir bauen keine neuen Werbebildschirme›», sagt Spielman, der im Parlament selbst gegen das Verbot war.

Dieses ergebe für ihn selbst aus ökologischer Sicht wenig Sinn, sagt Spielman. «Danach fehlt Geld für den öffentlichen Verkehr, und die Ticketpreise könnten steigen.» Es sei aber ebenfalls sinnlos, wenn nun Werbebildschirme gebaut würden, die in wenigen Jahren – sofern der Wille des Gemeinderats auch rechtlich umgesetzt würde – womöglich wieder abgerissen werden müssten.

Scharfe Kritik am Vorgehen der Stadt übt Dominik Waser (Grüne), der das Postulat zum Verbot von Werbebildschirmen im Gemeinderat vertrat. Er sagt: «Es ist schon ein bisschen dreist, dass man nun das Gegenteil von dem tut, was wir gefordert haben.»

Er sei enttäuscht, sagt Waser, und erwarte, dass die Stadt den Willen des Parlaments auch wirklich umsetze.

 

Keine klassischen Werbetafeln

Und wie reagiert die Stadt auf den Vorwurf, den Willen ihres Parlaments nicht ernst genug zu nehmen?

Eingereicht hat die meisten der jüngst gestellten Baugesuche für die digitalen Werbeflächen das Amt für Städtebau. Dessen Mediensprecher Anatole Fleck beruhigt: Es handle sich dabei nicht um klassische Werbetafeln, sondern um die über die Stadt verteilten City-Pläne – interaktive digitale Stadtkarten, auf deren Rückseite in den meisten Fällen ein Werbefeld sei.

«Es geht uns nicht um den Ausbau der Werbeflächen», sagt Fleck. Sein Amt baue im Gegenteil generell bei Ausschreibungen für jede neue digitale drei analoge Reklameflächen ab. Der Bau der City-Pläne mit eingebautem Werbefeld sei von langer Hand geplant und bereits vergangenes Jahr vom Stadtrat bewilligt worden.

Man habe mit den Baubewilligungen lediglich an diesem Beschluss festgehalten. Ein Postulat wie jenes zu den Werbebildschirmen sei schliesslich noch kein verbindlicher Parlamentsbeschluss. Ausserdem habe die Stadt laufende Verträge mit Plakatfirmen, die sie einzuhalten habe.

 

Verbot mit Folgen

Für den FDP-Gemeinderat Spielman ist klar: «Die ganze Geschichte zeigt, wie absurd und realitätsfremd das geforderte Verbot von Werbebildschirmen ist.» Dass die Stadt nun – nur wenige Wochen nach dem Gemeinderatsvotum dagegen – doch neue Werbeflächen bauen müsse, um ihre vertraglichen Verpflichtungen wahrzunehmen, sei ein Beleg dafür.

Spielman befürchtet zudem, dass das geforderte Verbot auch bereits beschlossene Projekte wie die City-Pläne gefährdet. Diese werden durch die darauf angebrachten Werbeflächen nämlich teilweise finanziert.

Auch der grüne Gemeinderat Waser meint, das von ihm und seinen Mitstreiterinnen angestrebte Verbot umfasse auch die Werbefelder auf den City-Plänen. Diese nun trotzdem aufzubauen, nur um sie in absehbarer Zeit vielleicht wieder abbrechen zu müssen, sei «eine reine Geld- und Ressourcenverschwendung».

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