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Antisemitismus in der Schweiz: So erleben jüdische Prominente die Anfeindungen

Antisemitismus in der Schweiz: So erleben jüdische Prominente die Anfeindungen

Vier Personen erklären, welche Folgen die Messerattacke in Zürich auf ihr Sicherheitsgefühl hat und wie sie mit der Zunahme antijüdischer Hetze umgehen.

Ein sozialer und kultureller Freiraum für nichtgewinnorientierte Veranstaltungen werde die Zentralwäscherei sein. «Inklusiv» wolle man sein, heisst es auf der Website. Diskriminierung jeglicher Art werde nicht geduldet. Reflektiert und selbstkritisch wolle der Verein sein, Achtsamkeit und gegenseitiger Respekt gälten als zentral.

Das versprach der gleichnamige Verein bereits in seiner Bewerbung an die Stadt Zürich, als es um die Zwischennutzung der einstigen Wäscherei unweit des Bahnhofs Hardbrücke ging. Seit 2020 ist der Verein nun für das Programm dort zuständig.

Mitte Januar dieses Jahres scheinen die schöngeistigen Werte aber vergessengegangen zu sein.

An zwei Nachmittagen lud der linksextreme Revolutionäre Aufbau in der Zentralwäscherei zu Anlässen gegen das WEF. Ein Programmpunkt ist Organisations- und Demonstrationsverboten gewidmet. «Was steckt hinter dieser staatlichen Repression, und wie können wir ihr begegnen?», lautet die Fragestellung. Antworten dazu soll ein Genosse des in Deutschland verbotenen palästinensischen Netzwerks Samidoun liefern: Es ist kein Geringerer als Mohammed Khatib, der Europakoordinator des Netzwerks.

Nachdem Hamas-Terroristen am 7. Oktober mehr als 1000 Personen getötet und über 200 Geiseln nach Gaza verschleppt hatten, organisierte das Netzwerk Samidoun in Berlin-Neukölln eine «Feier des Sieges des Widerstands». Die Gruppierung nennt die Anschläge auf ihrer Website eine «palästinensische Widerstandsoperation».

Anfang November trat in der Bundesrepublik das Verbot von Samidoun und Hamas in Kraft. Der Verfassungsschutz stuft es als antisemitisch und extremistisch ein.

In der Schweiz fehlt die gesetzliche Grundlage für ein Verbot.

Hierzulande erhält das Netzwerk weiterhin Unterstützung. Der Revolutionäre Aufbau Schweiz ruft auf seiner Website zur Solidarität mit Samidoun auf, Khatib ist immer wieder zu Gast bei Anlässen der linksextremen Organisation. Eine Veranstaltung mit Khatib in Basel wurde kurzfristig abgesagt, weil die Vermieterin der Liegenschaft intervenierte.

Stadt prüft, ob gegen Regeln verstossen wurde

Der Anlass in der Zentralwäscherei in Zürich ging derweil beinahe unbemerkt über die Bühne. Auch die Stadt, der die Gebäude auf dem Josef-Areal gehören, hat davon anscheinend nichts mitbekommen.

Nun muss sie sich aber damit befassen, denn die Stadtparlamentarier Ronny Siev (GLP), Jehuda Spielman und Anthony Goldstein (beide FDP) haben mit 29 Mitunterzeichnenden eine dringliche Anfrage dazu eingereicht.

In den Regeln der Zentralwäscherei heisse es, dass Personen, die sich rassistisch oder menschenfeindlich verhielten, rausfliegen würden, sagt Siev. «Ich wüsste derzeit in der Schweiz von keiner menschenfeindlicheren Gruppe als Samidoun. Statt dass man sie rauswirft, wird sie sogar eingeladen.»

Bis mindestens Ende 2025 wird ein Teil der ehemaligen Wäscherei vom Verein Zentralwäscherei zwischengenutzt. Miete zahlt dieser keine, der Mieterlass für die vier Jahre beläuft sich auf 495 000 Franken. Hinzu kommen weitere städtische Subventionen, etwa 550 000 Franken für den Umbau der Wäscherei, 170 000 Franken «im Sinne einer Starthilfe», wie Julia Köpfli, Sprecherin der zuständigen Sozialen Dienste, auf Anfrage schreibt. Dann ein Zusatzkredit in der Höhe von 45 000 Franken für weitere Ausbauten. Zudem wurden Anlässe aus dem Bereich Musik mit total 15 000 Franken unterstützt.

Summa summarum sind bisher rund 1,3 Millionen Franken an Steuergeldern in die Zentralwäscherei geflossen.

Nachdem die Stadt vom Vorwurf Kenntnis genommen habe, dass «dem als antisemitisch geltenden Netzwerk Samidoun eine Bühne geboten wurde», werde nun geprüft, ob der Verein Zentralwäscherei «gegen die städtischen Nutzungsbedingungen verstossen» habe, schreibt Köpfli.

Die Konsequenzen eines allfälligen Verstosses würden nach der Prüfung festgelegt, schreibt Köpfli. Bei Nichteinhaltung der Nutzungsbestimmungen könne eine Verwarnung ausgesprochen werden. Im Wiederholungsfall drohe die Kündigung der Nutzung.

Der Vertrag zwischen Verein und Stadt basiere auf dem Nutzungskonzept, das der Verein Zentralwäscherei bei seiner Bewerbung 2019 eingereicht habe. Dieses hält fest, dass «diskriminierende Aktivitäten» nicht erlaubt seien. Weiter heisst es: «Tätigkeiten der Nutzenden dürfen keine Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verursachen oder verbreiten.»

Sonst sei die Zentralwäscherei frei in der Programmgestaltung. Auch ob die abgemachten Regeln eingehalten würden, werde nicht systematisch geprüft. Grundsätzlich gehe die Stadt davon aus, «dass die Nutzenden sich an die Bedingungen halten», schreibt Köpfli. Bei Reklamationen oder Hinweisen auf Nichteinhaltung der Bedingungen «suchen wir das Gespräch und leiten allfällige weitere Schritte ein».

 

Zentralwäscherei nimmt Diskussion «zur Kenntnis»

Der Revolutionäre Aufbau hat auf die Anfrage der NZZ zur Einladung von Mohammed Khatib nicht reagiert. Auch der Verein Zentralwäscherei lässt die Fragen der NZZ unbeantwortet, verweist aber auf einen Instagram-Beitrag vom 19. Februar – mehr als einen Monat nach dem fraglichen Anlass.

Man nehme die Diskussionen rund um die Veranstaltung «zur Kenntnis», die vorgebrachte Kritik nehme man ernst.

Die Leistungsvereinbarung mit der Stadt verlange nach einem breiten Spektrum an Veranstaltungen und Aktivitäten. «Dass diese auch kontroverse Themen hervorbringen, sehen wir als wertvollen Beitrag zu gesellschaftlich relevanten Thematiken an», ist auf Instagram zu lesen.

Für den Verein bedeute das, «problematische Inhalte nicht unhinterfragt zu reproduzieren». Kritische Stimmen wolle man anhören und inhaltsvolle Debatten führen. «Wir sprechen uns klar gegen jegliche Form von Diskriminierung und Gewalt aus.» Das beinhalte auch Antisemitismus und Islamophobie. Weiter heisst es auf Instagram: «Wir verstehen, dass die momentane Situation rund um die Geschehnisse in Palästina sehr viele Widersprüche in sich tragen und machtpolitische Interessen aufeinanderprallen.»

Jehuda Spielman, Anthony Goldstein und Ronny Siev überzeugt die Stellungnahme der Zentralwäscherei nicht. Im Gegenteil – es sei äusserst bedenklich, fast schon zynisch, dass der Verein mit Schlagwörtern versuche, die Veranstaltung schönzureden, schreiben die drei Parlamentarier in einem gemeinsamen Statement gegenüber der NZZ.

Von einem «wertvollen Beitrag zu gesellschaftlich relevanten Thematiken» könne nicht die Rede sein. Eine Veranstaltung mit einer extremistischen Bewegung wie Samidoun könne man nicht als «inhaltsvolle Debatte» verkaufen. Gemäss dieser Logik müsste die Zentralwäscherei auch einen Martin Sellner einladen, schreiben Siev, Spielman und Goldstein. «Dann könnte man mit ihm eine ‹inhaltsvolle Debatte› über Remigration führen.»

Am groteskesten empfinden die drei Gemeinderäte die Aussage der Zentralwäscherei, dass hier machtpolitische Interessen aufeinanderprallen würden. «Uns vorzuwerfen, wir würden Machtpolitik betreiben, ist eine Schande», schreiben Siev, Spielman und Goldstein. «Wir wehren uns ganz einfach gegen Antisemitismus hier in der Schweiz, in unserem eigenen Land.» Dass eine öffentlich subventionierte Institution sich eine solche Haltung erlauben könne, sei unverständlich.

Zurückhaltender gibt sich die SP. Deren Co-Fraktionspräsident Florian Utz schreibt, die Veranstaltung in der Zentralwäscherei werfe Fragen auf. Es sei deshalb sinnvoll, dass eine Anfrage dazu eingereicht worden sei. Ob weiterer politischer Handlungsbedarf bestehe, werde sich zeigen. «Klar ist, dass die SP jede Form von Antisemitismus strikt ablehnt.»

Wie der Auftritt von Samidoun mit den Werten der Zentralwäscherei vereinbar ist und warum es dem Verein so schwerzufallen scheint, klar Stellung zu beziehen, bleibt offen. Vielleicht müsste man die Hausregeln der Zentralwäscherei noch um einen Passus ergänzen. Nämlich damit: «Wer Massaker feiert, fliegt raus.»

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