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Mehr Grün in der Stadt – das ist längst beschlossene Sache. Und dennoch müssen die Zürcherinnen und Zürcher darüber abstimmen. Weshalb?

Mehr Grün in der Stadt – das ist längst beschlossene Sache. Und dennoch müssen die Zürcherinnen und Zürcher darüber abstimmen. Weshalb?

Parteipolitische Eitelkeiten und ein durchgestrichener Abstimmungstext: Am Sonntag steht einer der seltsamsten Urnengänge in der Geschichte der Stadt Zürich an.

Wer die Stimmberechtigten an die Urne ruft, sucht in der Regel die Entscheidung. Eine Frage wird beantwortet, eine Kontroverse beendet – das Volk hat das letzte Wort. Die Vorlage jedoch, über die die Stadtzürcher Stimmberechtigten an diesem Sonntag befinden, ist anders. Ihnen wird eine Frage vorgelegt, die längst entschieden ist.

Denn bei der Stadtentwicklung sind sich nicht nur praktisch alle einig, dass Zürich mehr Grün grundsätzlich gut ansteht. Das Stadtparlament hat auch längst einen Plan dazu verabschiedet, nämlich die «Fachplanung Hitzeminderung». Darin wird haarklein dargelegt, wie Zürich grüner und hitzeresistenter werden soll.

Weiter ist mit Grün Stadt Zürich längst eine Dienstabteilung mit der Hitzeminderung betraut worden. Experimente mit künstlichen Wolken oder massenweise Pflanzen auf den Balkonen des Stadtspitals Triemli zeugen davon. Zürich gilt unter Fachleuten als vorbildlich in Sachen Stadtökologie.

 

Zürich vor der Schicksalsfrage: grün oder grau


Liest man aber das aktuelle Abstimmungsheft zur Stadtgrün-Initiative und den Gegenvorschlägen des Stadtrats, gelangt man zu einem anderen Eindruck. Es scheint, als stünde Zürich vor der Schicksalsfrage: grün oder grau?

Zu verstehen ist dieser Widerspruch nur, wenn man sich die Entstehungsgeschichte der Vorlage vor Augen führt. Sie beginnt 2021, als der Verein Stadtgrün eine Initiative einreicht. Diese fordert jährlich Ausgaben, damit Plätze begrünt und Bäume gepflanzt werden können. Und: Eine von der Stadtverwaltung unabhängige Stiftung soll geschaffen werden, die private Bauherren berät.

Diese Stiftung wollen weder der rot-grüne Stadtrat noch das rot-grüne Parlament. Gründe für diese Abneigung werden unterschiedliche genannt, je nach politischem Lager. Ursina Merkler, SP-Gemeinderätin, sagt: «Mit dieser Stiftung würden Doppelspurigkeiten geschaffen. Das hilft der Sache nicht.»

Für FDP-Gemeinderat Jehuda Spielman hingegen ist der Gegenvorschlag allein durch parteipolitische Eitelkeiten motiviert. «Die dominanten rot-grünen Kräfte wollen niemanden dulden, der es in ökologischen Fragen besser weiss. Deshalb wäre eine externe Stiftung ein Graus.» Wobei die FDP alles ablehnt, die Initiative wie die Gegenvorschläge des Stadtrats.

Der Stadtrat schlägt vor, durchschnittlich elf Millionen Franken pro Jahr bis 2035 auszugeben. Wie dies mit der bereits verabschiedeten Fachplanung Hitzeminderung zusammenpasst, erklärt Grün Stadt Zürich auf Anfrage so: «Mit den Programmen wird an die bisherigen Leistungen angeknüpft. Das Tempo der Umsetzung kann dank mehr personellen und finanziellen Ressourcen beschleunigt werden.»

Wobei anzumerken ist, dass für solche projektbezogenen einmaligen Ausgaben kaum eine Volksabstimmung nötig wäre. Das Stadtparlament kann bis zu 20 Millionen Franken in eigener Kompetenz sprechen. Und die Kräfteverhältnisse im Parlament sind bekannt.

Der Gegenvorschlag ist also quasi ein staatlicher Nachbau der Stadtgrün-Initiative zwecks Verhinderung derselben. Die Kopie stört die Initianten vor allem in einem Punkt. Die von ihnen vorgeschlagene Stiftung soll Bauherren helfen, die sich aus Furcht vor der Bürokratie in Grün-Fragen oft auf das Minimum beschränken.

Mitinitiant und Alt-GLP-Kantonsrat Beni Schwarzenbach sagt, die Stiftung wäre schlank aufgestellt mit maximal sechs Vollzeitstellen. «Das Geld soll in Projekte und nicht ins Personal fliessen.»

Das Gegenstück der Stadt hingegen ist eine Fachstelle, eine verwaltungsinterne Einheit also. Dies werde kontraproduktiv sein, sagt Schwarzenbach: Es werde gerade noch mehr Bürokratie geschaffen.

Hinzu kommt, dass die neue Einheit nicht sechs, sondern zwanzig Stellen umfassen wird. Diese Kosten sind in der Vorlage von 130 Millionen Franken nicht enthalten.

Wie kann es sein, dass eine gut aufgestellte Einheit wie Grün Stadt nicht in der Lage ist, die Hitzeminderung in Angriff zu nehmen? Vor den Medien sagte Direktorin Christine Bräm, man sei bereits ausgelastet. Wie viele Stellen sich bei der Stadt um die Hitzeminderung kümmern, weiss das Grün Stadt Zürich angegliederte Tiefbauamt, welches der SP-Stadträtin Simone Brander unterstellt ist, nicht.

Auf Anfrage heisst es beim Tiefbauamt, 17 der 20 neuen Stellen würden «dezentral in der ganzen Stadtverwaltung angeordnet». Drei Stellen würden bei Grün Stadt Zürich geschaffen, «welche die Koordination der dezentral angeordneten Fachpersonen und dadurch die zielgerichtete Verwendung der Mittel sicherstellen».

Heisst: Die Stellen sollen die «grünen» Anliegen in die Stadtverwaltung tragen. Initiant Schwarzenbach kritisiert dies: «Es wäre die Führungsaufgabe des Stadtrats, dafür zu sorgen, dass es in den einzelnen Departementen vorwärtsgeht. Und Fachleute hat Grün Stadt Zürich genug.»

 

Tomatensetzlinge und Food-Trucks


Auch FDP-Stadtparlamentarier Spielman kann wenig mit einem angeblichen Bedarf für zusätzliche Stellen anfangen, zumal Grün Stadt Zürich «in der Stadtgärtnerei Tomatensetzlinge verkauft und Food-Trucks aufstellt», statt sich auf den Kernauftrag der Stadtbegrünung zu konzentrieren.

SP-Gemeinderätin Merkler hingegen sieht nichts Schlechtes in zusätzlichen Mitteln und Ressourcen für die Stadtbegrünung. Angesichts des Klimawandels seien sie sogar dringend nötig.

In einem letzten Punkt dürfte zwischen links und rechts Einigkeit herrschen: dass die Vorlage aus Sicht der Stimmberechtigten schrecklich kompliziert ist. Aus formalen Gründen hat der Stadtrat der Initiative zwei Gegenvorschläge gegenübergestellt. Beim direkten geht es um die Änderung der Gemeindeordnung, beim indirekten um den Rahmenkredit.

Seltsam wirkt aber vor allem, dass im Abstimmungsheft der Initiativtext teilweise durchgestrichen ist. Es sind jene Teile der Initiative, die der Stadtrat für ungültig hält, zum Beispiel die Forderung, jährlich ein Prozent der Steuereinnahmen für Grün-Massnahmen auszugeben. Dies verstosse gegen übergeordnetes Recht.

Der Stadtrat mahnt die Stimmberechtigten: Sollte die Initiative angenommen werden, würde zwar eine Stiftung gegründet, aber diese hätte keine Mittel. Die Initianten widersprechen: Die Mittel würden vom Stadtparlament bestimmt nachgereicht.

Was zur letzten Frage führt: Ist es legitim, der Stimmbevölkerung eine Vorlage vorzulegen, bei der die Folge nicht klar ist?

Die Juristin Barbara Schaub hat die Frage der Teilungültigerklärung von Initiativen kürzlich in ihrer Dissertation an der Universität Basel erörtert. Sie sagt, die entscheidende Frage sei, ob das grundsätzliche Anliegen auch nach der Streichung eines Teils des Textes erhalten bleibe. Dann sei es zu verschmerzen, wenn eine Annahme kaum praktische Auswirkungen zeitigen würde – wie bei Stadtgrün mutmasslich der Fall.

Volksinitiativen müssen nicht zwingend zu konkreten Auswirkungen in der Praxis führen, sondern sie können auch als politisches Mittel eingesetzt werden. Dies sei legitim, solange dies den Stimmberechtigten transparent dargelegt werde. «Symbolpolitik ist nicht verboten», sagt Schaub. Eine Teilungültigkeitserklärung sei im Zweifel besser als eine totale, die doch einen schweren Eingriff in die politischen Rechte darstelle.

So oder so: Die Stadtgrün-Vorlage ist nur schon rein äusserlich schwerverdaulich. Mit drei Vorlagen, wovon zwei stadträtliche Gegenvorschläge sind, einer Stichfrage und einem zu weiten Teilen durchgestrichenen Initiativtext kann sie es in Sachen Komplexität locker mit einer durchschnittlichen Steuererklärung aufnehmen.

Entsprechend gering dürfte die Lust vieler Stimmberechtigter sein, sich damit zu beschäftigen.

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